Dr. Klaus Heinrich Kohrs

 

»Flüchtigkeit und Gesetz. Fünf Überlegungen zu Karin Kneffels Feuerbildern«, in: Karin Kneffel. Karl Schmidt-Rotluff Stipendium, hrsg. von // ed. by Karl Schmidt-Rotluff Förderungsstiftung Berlin, Ausst.-Kat. // exhib. cat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1993

 

Flüchtigkeit und Gesetz.

Fünf Überlegungen zu Karin Kneffels Feuerbildern

 

  1. Glut, Rauch, greller Lichtschein, gefärbte Wolken, äußerstenfalls vibririende Luft: das sind die malerischen Realisationsformen eines streng genommen unmalbaren Sujets- des Feuers. Die fieberhaft lodernde und züngelnde Aktivität der Flamme, ihre wesenhafte Übergängigkeit kommt in diesen Manifestationen ihrer Wirkung allererst zur Darstellbarkeit. Das rasende Tempo der Flammen verlangsamt sich in ihnen so weit, daß Formverwandlungen überhaupt vorstellbar werden, daß der angehaltene Augenblick des Bildes ein „fruchtbarer Augenblick“ werden kann. Turner hat diese fundamentale Einsicht in die Grenzen einer abbildenden, illusionistischen Malerei wohl am konsequentesten umgesetzt - und paradoxerweise in dieser Konsequenz die Grenzen des llusionismus in Richtung auf die Selbstrepräsentation der malerischen Mittel überschritten. Andere, wie Joseph Wright of Derby mit seinen Vesuv-Bildern und den Bildern der „Girandola“, des Feuerwerks auf der Engelsburg, haben sich knapp an der Geschmacksgrenze auf dem schmalen Grat zwischen Flammenmalerei und Malerei der Wirkungen gehalten: Die Absturzgefahr einer auf den großen, überredenden und überwältigenden Effekt gestellten Malerei in den Kitsch gehört zu den signifikanten Tücken des unmalbaren Sujets.

feuer III 1991

Feuer III, 1991, 200 x 200cm

  2. Braun-roter Rauch ohne jeden Zauber der farbigen Verklärung eines zerstörenden Elements; als schmutziger Schleier vor einem kalten weißblauen Himmel hängend und die Horizontlinie verwischend - nicht den geringsten Charme gönnt Karin Kneffel in Feuer III 1991 den Manifestationen der Flammenwirkung. Alle Aufmerksamkeit gilt zunächst dem Unmalbaren selbst: der Flamme, die als große pyramidale Form den ‚Vordergrund“ des Bildes dominiert, umgeben von zahlreichen kleinen Flammen-Trabanten, die in ihrer Größenordnung die Pyramidenform wiederholen. Aber seltsam: Die Frage nach dem Gelingen des Unmöglichen stellt sich zunächst nicht, denn der Betrachter sitzt bereits in der Falle verwirrender Maßstäblichkeit, eines ungeklärten Betrachterstandpunkts, des Spiels mit der Konvention eines obsoleten Drei-Gründe-Schemas. Der Brand einer Ölquelle in der kuwaitischen Wüste, dessen Foto möglicherweise als eine unter anderen Anregungen diente (ich habe Karin Kneffel nicht danach gefragt und bezweifle auch, daß Ölquellen pyramidal brennen) weitet sich zum Riesenbrand in einer Weltlandschaft, wenn die Relationen von Kleinpyramiden, Großpyramide und verwischter Horizontlinie scharf in den Blick genommen und auf einen erhöhten Betrachterstandpunkt weit außerhalb des „Bildausschnitts“ bezogen werden. Aber was berechtigt zu dieser Vorstellung? Gibt es doch nirgends im Bild eine „reale“ Größe, die als wirklicher Maßstab genommen werden könnte.Und erst diese Beobachtung lenkt den Betrachter zum Problem der Flamme zurück: Sie ist der Haupt-Bildgegenstand - und sie ist wesenhaft übergängig und damit maßstablos.

fei

Feuer I, 1991, 200 x 300cm

  3. Als Karin Kneffel ihre beiden ersten Feuerbilder malte, da exponierte sie bereits paradigmatisch diese „Falle“ von Nähe und Ferne: In Feuer I 1991 brannte ein Schuppen im Proszenium, in Feuer II 1991 verdeckt Rauch an der Horizontlinie die Flammen, die nur an einer kleinen Stelle sichtbar werden. Das bleibt noch konventionell, spannt aber dem Feuer das imaginäre Feld auf, in dem es sich in den folgenden Bildern immer mehr nach seinem eigenen Gesetz der Übergängigkeit ausbreiten wird: Die Maßstablosigkeit des unmalbaren Sujets wird zum Gesetz der Bilder selbst. Seine extremste Formulierung findet dieses neue Bildgesetz in Feuer IV 1991-92: ein brennender Granitberg vor dramatisch blau-grau vertriebenem Wolkenhimmel. Brannte in Feuer I noch ganz realistisch ein Holzschuppen und schlugen (schon unwahrscheinlicher) in Feuer III standardisierte Pyramiden-Flammen aus dem Boden, so brennt hier offensichtlich das Unbrennbare, denn ein Vulkan ist das nicht. In jähem Maßstabwechsel aber erscheint der Granitberg als brennendes Papierknäuel in direktester Nahsicht; der Himmel weitet sich ins Unendliche. Als Joseph Wright of Derby ca. 1775 seinen berühmten Blick in das Innere des Vesuv-Kraters malte-ohne Repoussoir und erst recht ohne Staffagefiguren als Betrachter im Bild - da leistete er entscheidende Pionierarbeit für ein solches Konzept maßstabsprengender Unermeßlichkeit.

feuer IV 1992

Feuer IV, 1992, 200 x 200cm

  4. „Die fühlbare Hitze wird nicht assoziiert... . Die Angst vor Feuer wird nicht ausgesprochen. Aus dieser Beobachtung heraus entpuppt sich Kneffels Malerei denn auch als eine Malerei der äußeren Mittel.“1’Mit dieser Beobachtung hat Norbert Messler den Weg zu einer Überlegung grundsätzlicher Art gewiesen: Eine analytische Malerei, die aus dem Gesetz des Sujets ihre Realisationsformen herzuleiten versucht und die dabei Natur in ihrer Unmittelbarkeit kaum noch zur Darstellung kommen läßt, in welcher Relation steht sie zum Betrachter und wie richtet sich der Betrachter mit ihr ein? Nun ist Feuer doch in ausgezeichneter Weise Requisit einer Ästhetik des Erhabenen - und maßstabsprengende Unermeßlichkeit der schwankende Boden, auf dem erhabene Wirkungen allererst sich manifestieren. Das Sujet selbst aber, so wie Karin Kneffel es realisiert, verhindert paradoxerweise die Entfaltung seiner eigenen furchtbaren Anmutungsqualitäten. Die "objektive" Welt der Bilder als extrem künstliches Konstrukt bleibt frei von Wirkmechanismen des Erhabenen als Wechselspiel zwischen Sujet, seiner überwältigenden Präsentations- form und Subjekt, das sich in Relation zu setzen versucht und dessen Vorstellungskraft dabei in Bedrängnis gerät: Hier ist nur intellektuelle Einsicht in ein Spiel der Maßstäbe, das jederzeit ein Entweichen in eine andere Größenordnung erlaubt, das nicht festgelegt wird und sich nicht festlegen muß. Das Chimärenhafte des Feuers selbst entläßt den Betrachter in ein freies Spiel des Wahrnehmung.

  5. Malerei, die über sich selbst reflektiert, findet im Feuer das Sujet, das diese Reflexion in ausgezeichneter Weise verlangt. Nur in der Selbstreflexion der Mittel ist das scheinbar Unmögliche zu bewältigen. Dabei steht die "illusionistische" Angemessenheit der malerischen Mittel gar nicht auf dem Prüfstand.Feuer III entscheidet sich für einen standardisierten Pinselduktus, für pastos aufgetragene " Flammen" einer mittleren Größe, die weder einer imaginären "Nahsicht" noch einer extremen "Fernsicht" angemessen sind: Sie stehen für sich selber, verbinden sich in Stufen mit dem schon mehr "zurückgenommenen" Rauch, der sich aus kleinen Farbtupfen aufbaut, und schließlich mit dem vertriebenen Himmel. Kühle Konstruktion einer "objektiven" Welt ist hier am Werk, nicht überredende Expression oder romantische Anmutung zur Einstimmung.
Unter den Landschaftsmalern des ausgehenden 18. Jahrhunderts wares Jakob Philipp Hackert, der im Angesicht der Landschaft am Golf von Neapel einen solchen "objektiven" Ansatz aus der Eigengesetzlichkeit der Mittel als erster entwickelt hat. "Drei Tinten stehen, wenn er tuscht, immer bereit, und in dem er von hinten hervorarbeitet und eine nach der anderen gebraucht, so entsteht ein Bild, man weiß nicht, woher es kommt".2) Was Goethe hier treffend über Hackerts Methode zu zeichnen sagt, das gilt in ausgezeichneter Weise auch für seine aus einem systematisierten Pinselduktus aufgebauten Bilder: Die Objektivierung der Mittel soll die „Totalität des Augenblicks bannen“, wie Norbert Miller das formuliert hat. 3) Eine analytische Landschaftsmalerei, die dem Visionären von Grund auf mißtraut und die die Quadratur des Kreises versucht, der Flüchtigkeit und dem Gesetz zugleich zu genügen - könnte sie nicht als frühe Wegmarke in der Entwicklung der Malerei zu expliziter Selbstreflexion gesehen werden, an der diese heute freilich zu ersticken droht? -

hackert vesuv

Die Herren, die gebannt den flammenden und züngelnden Lavafluß beobachten, sie spüren mit Entdeckerfreude und wissenschaftlicher Akribie objektiven Gesetzen der Natur nach - und Hackerts Bild ist die Umsetzung dieser Hoffnung und Gesinnung in die malerische Faktur. Ein heutiges „Gesetz“ aber kann wohl nur das der malerischen Mittel selbst sein.

Klaus Heinrich Kohrs 1993

1) Faltblatt der Galerie Sophia Ungers, Köln 1991

2) J. W. v. Goethe, Italienische Reise. Caserta, 15. März 1787

3) Norbert Miller, Goethes Begegnungen mit Jakob Philipp Hackert. In: Die Vier Jahreszeiten im 18, Jahrhundert, Heidelberg 1986

 

Klaus Heinrich Kohrs, »Flüchtigkeit und Gesetz. Fünf Überlegungen zu Karin Kneffels Feuerbildern«, in: Karin Kneffel. Karl Schmidt-Rotluff Stipendium, hrsg. von // ed. by Karl Schmidt-Rotluff Förderungsstiftung Berlin, Ausst.-Kat. // exhib. cat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1993