Julia Voss

 

 

Gespräch mit Karin Kneffel in ihrem Atelier in Düsseldorf

Anlässlich der Ausstellung Karin Kneffel

STILL

Kunsthalle Bremen, Museum Frieder Burda, Baden-Baden

 

Julia Voss, »Gespräch mit Karin Kneffel in ihrem Atelier in Düsseldorf//Conversation with Karin Kneffel in her Studio in Duesseldorf«, in:Still, Ausst.-Kat.//exhib. cat. hrsg. von // ed. by Kunsthalle Bremen, Museum Frieder Burda, Schirmer und Mosel, S.//pp. 84–94, 2019, ISBN: 978-3-8296-0873-2

 

Realismuss

Julia Voss– Wie bist Du auf die Idee gekommen, Obst zu malen?

Karin Kneffel- Zunächst einmal hat mich geärgert, dass es damals an der Akademie in Düsseldorf hieß, dieses oder jenes dürfe man nicht malen. Früchte oder auch Tiere zum Beispiel. Die gehörten zu den Dingen, die plötzlich als unmalbar galten.

Julia Voss– Warum?

Karin Kneffel- Zu dekorativ, für eine Frau deshalb noch ungeeigneter. Oder es wurde gesagt, Früchte seien doch schon so oft gemalt worden. Zu oft. Auf diese Weise wurden Themen einfach abgehakt oder zu Kampfbegriffen. Mir leuchteten solche Verbote nie ein und weckten eher noch mein Interesse daran. Außerdem schienen mir die Früchte geeignet, die Besonderheiten einer gemalten Darstellung gegenüber der Wirklichkeit zu verstärken. Wie zeigt sich ein Bild selbst als Bild? Fragen zu Realität und Realismus trieben mich um. Was ist mit der Schönheit?

Julia Voss–Spielen dabei die Alten Meister und ihre Stillleben eine Rolle für Dich?

Karin Kneffel- Schon. Als Maler schaust du ja auf eine lange Tradition, da poppt vor deinem inneren Auge die Kunstgeschichte mit all den vielen schon gemalten Stillleben auf. Aber Du darfst das Format nicht vergessen. Mit dem sind wir bei der Pop Art.

Julia Voss– Deine Gemälde sind häufig sehr groß. Die Pfirsiche aus dem Jahr 1996 sind ein Hochformat, sie messen mehr als sieben Meter. Warum reizen Dich Großformate so häufig?

Karin Kneffel- Es gibt auch viele ganz kleine Bilder von mir, die Tierportraits zum Beispiel.

Julia Voss– Aus den frühen neunziger Jahren, das stimmt. Dann formuliere ich die Frage anders. Was ist besser an sehr kleinen oder sehr großen Bildern?

Karin Kneffel- Mit dem Mittelformat habe ich immer Probleme gehabt, es ist für mich die schwierigste Größe. Ein ganz kleines Bild ist fast wie ein Objekt. Das hat mit der Art und Weise wie man fokussiert zu tun. Es ist ein viel kompakteres Sehen. Ein großes Bild ist eher ein Gegenüber, ein Stück Raum. Mittelformate aber haben keine richtige Distanz. Wenn du in einem Buch blätterst, dann weißt Du, es ist ein Buch. Aber bei einer mittleren Größe? Du weißt nicht, woran Du bist. Mir fällt nicht ein, was ich darauf malen könnte. Eine Raumecke vielleicht. Aber eine ganze Landschaft auf mittlerem Format? Ich freue mich immer, wenn es mir trotzdem gelingt.

Julia Voss– Welche Rolle spielt Realismus für Dich? In Deinen Bildern gibt es eine fast photographische Exaktheit, zum Beispiel bei den Tropfen, die in Deinen Serien zu den Häusern Esters und Lange auftauchen, die Mies van der Rohe in Krefeld gebaut hat.

Karin Kneffel- Die Tropfen sind das Gegenteil von Realismus. Sie verwandeln das Bild, sie machen es künstlich, und es entsteht eine Ebene des Imaginären. Es ist ja nur der scheinbare Blick durch ein Fenster. Wir sehen so nicht. Wenn Du in der Realität Tropfen an einer Scheibe siehst, siehst Du sie scharf. Das, was dahinter ist, verschwimmt. Wenn Du aber den Raum dahinter betrachtest, dann verschwinden die Tropfen aus Deinem Sichtfeld. Dieser fokussierte Blick ist in meinen Bildern ausgeschaltet, alles findet auf einer Ebene statt und Du siehst beides gleichzeitig. Die Tropfen sind noch dazu irreal, durch ihre Größe. In ihnen spiegelt sich die Umwelt, man sieht darin zum Beispiel Häuser.

Julia Voss– Stimmt! Häuser mit Spitzdächern, winzig! Wo kommen die denn her?

Karin Kneffel- Das sind die Häuser gegenüber, auf der anderen Straßenseite von Haus Esters und Haus Lange in Krefeld. Ende der zwanziger Jahre hatte man ja überall noch Spitzdächer. Die Bauhaus-Architekten bevorzugten aber das Flachdach, so auch Mies van der Rohe. Deshalb lasse ich die Nachbarschaft so auftauchen, gespiegelt.

Julia Voss– Die Flüssigkeit hat auch etwas von Quecksilber.

Karin Kneffel- Ja, das stimmt, aber auch von Aquarium. Als ob man selbst in einer Flüssigkeit schwebt und ausatmet, so dass Bläschen hochsteigen. Zusammen mit den Scheiben bauen die Tropfen Distanz auf, zwischen dem Betrachter und dem Bildraum. Ich möchte, dass ein Betrachter sich die Bilder anguckt und darüber nachdenkt. Er soll sich nicht darin verlieren. Außerdem gefällt mir das voyeuristische Moment dabei. Wenn es eine Scheibe gibt, durch die man schaut, hat man das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Man dringt in eine Intimsphäre ein.

Julia Voss– Realismus ist Dir also nicht wichtig?

Karin Kneffel- Sagen wir so: Ich will es plausibel. Ich hatte einmal den Fall, dass ich eine Spiegelung gemalt habe, ein flimmerndes Fernsehbild, das in einer Scheibe auftaucht. Derselbe Fernseher erschien auch nochmal in dem gemalten Haus im Hintergrund. Beim Malen merkte ich, dass es so ja gar nicht sein kann. Die Spiegelung in der Scheibe musste im Gegensatz zum Bild im Fernseher seitenverkehrt sein. Also habe ich die Farbe wieder abgekratzt und alles noch einmal gemalt. Die Bildwirklichkeit muss in sich schlüssig sein. Aber es ist deshalb nicht realistisch.

VORBILDER

Julia Voss– Es gibt ein Bild von Dir aus dem Jahr 2011, es zeigt ein Interieur in Schwarzweiß, das mit roter Farbe durchgestrichen worden ist. Kannst Du nachvollziehen, dass mir dazu Gerhard Richter einfällt?

Karin Kneffel- Natürlich, das Bild hat ja etwas davon. Ich musste auch gleich an Richters gemalten Pinselstrich denken. Ein Malerkollege sagte einmal völlig euphorisch zu mir: Ha, das ist ein Programmbild, damit streichst du Richter durch!

Julia Voss– Das könnte man denken.

Karin Kneffel- Ja, aber ironisch, nicht ernst. Ich musste beim Malen lachen. Er hat diesen großen Pinselstrich gemalt, er hat nach Photos gemalt. Und ich kreuze ein Photo durch. Aber der Ausgangspunkt ist ein Plakat aus der Bauhaus-Zeit.

Julia Voss– Was für ein Plakat?

Karin Kneffel- Es gab 1927 eine Ausstellung, die hieß „Die Wohnung“, Willi Baumeister hat das Plakat dazu gestaltet. Wie wohnen? stand darauf, die alte Art zu wohnen wurde im Bild durchgestrichen, mit zwei roten gekreuzten Balken. Gezeigt wurde ein bürgerlicher Einrichtungsstil. Darauf beziehe ich mich. Im Haus Esters und Haus Lange gab es nämlich auch dieses Mobiliar, das auch Mies van der Rohe nicht gefallen konnte. Er war sicher nicht beglückt darüber, dass diese schon vorhandenen bürgerlichen Möbel der Bauherren auch in deren neuen, modernen Häusern Einzug halten sollten. Aber genau das passierte.

Julia Voss– Es gibt andere Serien, in denen Du Dich ganz deutlich auf Richter beziehst. 2016 hast Du sein Gemälde Betty aus dem Jahr 1988 zum Gegenstand einer Serie gemacht. Wie kam es dazu?

Karin Kneffel- Ich war mit meinen Studenten in Basel, in der großen Richter-Schau, und sie standen plötzlich alle vor diesem Bild.

Julia Voss– Das war die große Retrospektive im Jahr 2014 in der Fondation Beyeler?

Karin Kneffel- Genau. Die Studenten schauten so interessiert hin, beäugten es von allen Seiten, als könnten sie so das Geheimnis lüften. Die Serie ist mein Kommentar dazu. Wenn man als Künstler ein Bild sieht, das einem gefällt, ist man erst einmal angezogen und gleichzeitig verunsichert davon. Dann entzaubert man sich das Werk und schaut sich an, wie es gemacht wurde. Danach kann man dem Bild wieder etwas zurückgeben. Meine Studenten waren gerade in der ersten Phase.

Julia Voss– Was ist Dein Bezug zu dem Gemälde?

Karin Kneffel- Ich mag es schon sehr, die schöne Farbigkeit und das Muster des Bademantels, dann der abgewandte Blick, ein trauriges Bild. Es ist wohl eines der meistreproduzierten Bilder der Gegenwartskunst. Der Bademantel ist schwer zu malen. Manche Kunsthistoriker betonen immer wieder die große malerische Perfektion in Richters Werk. Aber die finde ich eher zweitrangig. Das ist nicht das Großartige an dem Bild.

Julia Voss– Du hast einen ungewöhnlich entspannten Umgang mit Richter, bei dem Du studiert hast, als Meisterschülerin. Dein Blick ist neugierig, aber nicht ehrfürchtig. Wie versteht ihr euch heute?

Karin Kneffel- So oft sehen wir uns nicht, aber wenn, freue ich mich immer. Leider waren es in letzter Zeit eher Beerdigungen, auf denen wir uns begegneten und auf Ausstellungseröffnungen fehlt meistens die Zeit zum Gespräch. Ich denke, unser Verhältnis ist bei aller Distanz gut. In meiner Studienzeit waren die Lehrer nicht so nahbar. Ich denke, da haben sich die Zeiten etwas verändert.

Julia Voss– Welche Malerin oder welcher Maler bringt Dich zum Staunen?

Karin Kneffel- Manet. Nach wie vor und immer noch. Es gibt ja auch Künstler, die mal mehr mal weniger im eigenen Fokus stehen.

Julia Voss– Über welchen Künstler hast Du Deine Meinung geändert? Wer ist herausgefallen?

Karin Kneffel- Zu Beginn meines Studiums war z.B. Edward Hopper einer meiner großen Helden, das hat sich dann irgendwann verändert. Ich mochte seine menschlichen Figuren im Bild nicht mehr. Sie schienen mir so hölzern und die Frauen so unerotisch. Aber das ist ja ganz klar, wenn sich die eigene Arbeit verändert, sucht man nach neuen Anknüpfungspunkten und richtet das Hauptaugenmerk auf anderes, auch auf andere Künstler, auf einmal war Hopper für mich keine Orientierung mehr.

Julia Voss– Was kann Édouard Manet, was andere nicht können?

Karin Kneffel- Manets kühle Farbigkeit und diese gewisse Schwere des Farbauftrags haben mich schon immer angezogen. Man hat das Gefühl, dass jedes Motiv für ihn nur Vorwand für Malerei ist. Schon allein, wie Manet z. B. eine Zitrone malt, wie er sie umkreist, die Schale der Zitrone, wie er das zu Malerei macht, so gelöst und selbstverständlich. Du kannst dir die Szene von Weitem angucken, dann ist es eine Zitrone. Du kannst sie dir von Nahem angucken, dann ist es Malerei. Man kann den Malweg des Pinsels verfolgen. Nichts ist einfach nacherzählt, alles ist reine gemalte Wirklichkeit. Es ist ein Fluidum darin, das Licht, die Tageszeit, alles in einer Zitrone. Das finde ich großartig.

Julia Voss– Hier in Düsseldorf, wo Du wohnst, besitzt kein Museum einen Manet.

Karin Kneffel- Leider nein. In Bremen gibt es das Portrait von Zacharie Astruc, einem Bildhauer und Dichter. Über das, was man im Hintergrund sieht, gibt es nach wie vor Uneinigkeit. Hat Manet dort einen Spiegel gemalt, steht dort ein Paravent, oder öffnet sich ein Raum? Ich überlege, ob ich nicht über dieses Werk von Manet ein Bild male. Das würde ich gerne machen. Aber die Idee reift nur sehr langsam und bis zu einer möglichen Umsetzung ist es noch ein Stück.

ERINNERUNG

Julia Voss– In Deinem Atelier hängt ein Selbstportrait, das Du als Kind gemalt hast, mit sechs Jahren. Was hat es damit auf sich?

Karin Kneffel- Damals lief im Fernsehen die Werbung von Dr. Oetker. Da hieß es: Eine Frau hat zwei Lebensfragen. Was soll ich anziehen und was soll ich kochen? Mir hat das als Kind richtig Angst gemacht, und ich überlegte mir, dass es vielleicht doch besser sein könnte, ein Junge zu sein, und antwortete eine Zeit lang auf die Frage nach meinem Namen mit: Ich heiße Axel. Keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin. Wenn ich das Bild heute betrachte, erinnere ich mich an dieses Unwohlsein. Auf dem Selbstbildnis von damals trage ich eine gemusterte Strickjacke, die Nase hat die gleiche Form wie die aufgestickten Blumen. Das Bild erinnert mich daran, dass ich sehr froh bin, dass es anders in meinem Leben gekommen ist.

Julia Voss– Dabei ist die Kunstwelt kein einfaches Pflaster für Frauen. Über die Akademien hast Du einmal in einem Interview gesagt: Wir stopfen oben Frauen rein und unten kommen Männer raus. Warum?

Karin Kneffel- Es hat sich immer noch nicht genug geändert, zum Beispiel daran, wie Professuren besetzt werden, ob mit Männern oder Frauen, oder wer die höherdotierten Stellen bekommt. Auch bei Ausstellungsbeteiligungen, bei Stipendienvergaben oder auch wenn man sich Museumssammlungen anschaut, kann man noch lange nicht von Parität reden. Es hat sich schon einiges verbessert, aber solange etwa die Hälfte der Menschheit weiblich ist, gibt es bis zur Gleichheit noch eine Menge zu tun, nicht nur in der Kunst. Visuell sehr eindrücklich sind da auch Photos deutscher Aufsichtsräte.

Julia Voss– In den Sammlungen der Familien Esters und Lange, die Du für Deine Bilder rekonstruiert hast, gibt es so gut wie keine Künstlerinnen. Macht das die Recherchen manchmal frustrierend?

Karin Kneffel- Es kommen wenige Frauen vor. Kirchner, Macke, Lehmbruck, Chagall, Kolbe, Kokoschka, Kandinsky, die wurden gesammelt. Aber es gab Tierskulpturen von Renée Sintenis.

Julia Voss– Gerade wurde gemeldet, dass Kulturstaatsministerin Monika Grütters den goldenen Bären von Renée Sintenis in ihrem Büro aufgestellt hat, als Leihgabe der Nationalgalerie. Die Künstlerin hat die Skulptur 1956 für die Berliner Filmfestspiele geschaffen.

Karin Kneffel- Ich habe die Skulpturen von Sintenis auf einem alten Photo entdeckt, sie standen in einem Regal Mies van der Rohes im Zimmer der Dame im Haus der Langes. Da das Regal auf der mir vorliegenden Abbildung aus den dreißiger Jahren angeschnitten war und somit auch die Figuren, habe ich beim Malen noch ein paar mehr dazu gemalt, Tierfiguren von Sintenis, die ich auf Ausstellungen gesehen hatte.

Julia Voss– Renée Sintenis war damals eine ausgesprochen erfolgreiche Künstlerin. Dann wurde sie einfach lange Zeit vergessen. Hast Du dafür eine Erklärung?

Karin Kneffel- Es ist verrückt, aber es wird sich immer nur an die Männer erinnert. Schau Dir diese Lampe an (Karin Kneffel zeigt auf ein Bild aus dem Jahr 2009/03 ??). Die hat Mies van der Rohe entworfen, mit einem kleinen, runden Fuß. Ihre fehlende Standfestigkeit wurde wohl auch von den damaligen Besitzern beanstandet. Für mich eine Fehlkonstruktion, das sieht man dem Ding an. Großer Schirm, kleiner Fuß, das kann nicht gutgehen. Jetzt schau Dir den Stuhl dahinter an. Den hat Lilly Reich gemacht, seine Partnerin. Vieles, was Lilly Reich geschaffen hat, lief unter dem Label Mies van der Rohe. Als er nach Amerika ging, ist sie in Deutschland geblieben und hat alles in seinem Sinn archiviert, versorgt und weitergeführt. Als sie starb, wurde ihr Nachlass zu Mies van der Rohe nach Amerika geschickt. Alles wurde eingelagert und erst vor wenigen Jahren begann die museale Aufarbeitung.

Julia Voss– Lilly Reich starb 1947, Mies van der Rohe 1969. Ihre Geschichte ist leider typisch dafür, wie es in vielen Künstlerpartnerschaften ablief. Was wäre aus Kandinsky geworden, wenn sich Gabriele Münter nicht um sein Erbe gekümmert hätte? Was aus Raoul Haussmann ohne Hannah Höch? Einzig Hans Arp hat sich rührend für Sophie Taeuber-Arp eingesetzt, die lange vor ihm starb, er überlebte sie um fast zwanzig Jahre.

Karin Kneffel- Die Arps sind eine Ausnahme. Der Nachlass Lilly Reichs ist soviel ich weiß bis heute noch nicht zur Gänze aufgearbeitet worden. Es gibt viel zu tun. Wie lange ist das nun schon her, und wie wenig hat sich geändert! Ihren Stuhl habe ich deshalb in mein Bild hineingemalt und weil er so eigentümlich ist, der stand gar nicht dort. Aber ich will, dass man sich an sie erinnert.

Julia Voss– Bist Du in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen? Wusstest Du schon früh, dass Du Künstlerin werden willst?

Karin Kneffel- Nein, beides nicht. Kunst kam in unserer Familie nicht vor. Das Haus, in dem ich groß geworden bin, war eines dieser Spitzdachhäuser, ein typisches Ruhrpott-Haus, ein ähnliches habe ich in einer Serie von Häusern verewigt.

Julia Voss–In der Serie von 2013?

Karin Kneffel- Ja, ich fahre da manchmal vorbei, das Haus steht an einer Straße nach Mülheim an der Ruhr, und ich wundere mich jedes Mal, wenn ich es sehe, wie daraus diese Bilder entstehen konnten. Mülltonnen stehen davor, alles ganz schäbig und trist. Aber das Haus ist quasi ein Prototyp. Es kommt im Ruhrgebiet reihenweise vor. Als ich es zum ersten Mal im Vorbeifahren sah, fiel ein bedrohlicher Baumschatten, verursacht durch eine gelbe Straßenlaterne, darauf, und auf einmal stellten sich jede Menge angenehme wie unangenehme Kindheitsgefühle bei mir ein. So, wie wenn man als Kind einen Riss an der Wand verfolgt, die Phantasie ins Rollen gerät und der eigene Film beginnt. Kohlenstaubschwarze Fensterbänke, Kumpel mit schwarzen Lidstrichen, Brieftauben, Büdchen. Die alte Langeweile, Tristesse und Enge, die mich als Kind oft überfiel, wurde direkt wieder spürbar. Ich habe mir vorgestellt, wie ich es male. Mit Schatten und den Umrissen des Baums, damit eine eigene Atmosphäre entsteht. Auf einmal war dieses Haus bildwürdig.

Julia Voss– Du hast Dir das Haus Deiner Kindheit schöngemalt?

Karin Kneffel- Genau.

Julia Voss– Wie Gabriele Münter. Als sie mit Kandinsky in Murnau wohnte, haben die beiden nicht nur gemeinsam das Haus und die Möbel bemalt. Münter hat noch dazu die Inneneinrichtung in Öl auf Leinwand dargestellt und an die Wand gehängt. Malerei hat diese magische Kraft. Wird die Realität das, was sie im Bild ist?

Karin Kneffel- Ja und nein. Der Realismus des Bildes ist eine überzeugend wirkende und doch von jeder Realität verschiedene Bildwelt. Das Bild zeigt sich selbst als Bild, und damit verändert es die Wirklichkeit .
   In jedem dieser Häuser geschah das gleiche, alle guckten am Abend denselben Film. Man schaute zum Fenster hinaus und dabei wurde einem der Spiegel vorgehalten. Das, was die Menschen gegenüber machten, taten wir auch. Anfangs gab es ja nur ein einziges Fernsehprogramm und wenn abends z.B. ein Edgar Wallace oder ein Hitchcock-Film kam, lief er in jedem Haus und die Straßen waren wie leergefegt, bis das Testbild kam.

GESCHICHTE

Julia Voss– In den Serien der vergangenen Jahre beschäftigst Du Dich mit Haus Esters und Haus Lange, zwei Villen in Krefeld, die Ludwig Mies van der Rohe baute, Ende der zwanziger Jahre. Was stand am Beginn Deines Interesses daran?

Karin Kneffel- Angefangen hat es damit, dass ich von dem damaligen Museumsdirektor Dr. Martin Hentschel eingeladen wurde, eine Ausstellung in Haus Esters oder Haus Lange zu machen. Die beiden ehemaligen Wohnhäuser sind heute Museen. Ich hatte noch Eric Fischls Ausstellung im Kopf. Fischl hatte zwei Schauspieler engagiert, die ein Ehepaar gespielt haben, ein Ehepaar mit Problemen. Die Häuser hatte er zuvor möbliert. Dann photographierte er alles, fuhr zurück in seine Heimat und malte seine Bilder dazu, die er dann in einer der Villen zeigte. Ich fand das ziemlich gut und wollte in meiner Konzeption der Ausstellung unbedingt auch einen Bezug zu den Häusern herstellen. Ich habe mich mit historischen Photographien aus dem Archiv beschäftigt, um zu sehen, wie die Häuser damals aussahen, auch von innen. Die Aufnahmen sind aber alle schwarzweiß.

Julia Voss– Von wann sind diese Photographien?

Karin Kneffel- Die wurden Anfang der dreißiger Jahren gemacht, im Auftrag von Mies van der Rohe, denke ich. Da ging es um die Architektur, nicht um die Kunst. Irgendwo habe ich dann gelesen, dass die Vorhänge blau waren. Ich merkte, dass Fenster für Mies van der Rohe eine große Rolle spielten, der Übergang von Innen und Außen und die fließende Bewegung in den Räumen. Die erste Schwierigkeit für mich bestand darin, dass die Schwarzweiß-Photographien mir keinen Anhalt zur ursprünglichen Farbigkeit der Gegenstände in den Räumen boten, und ich andererseits aber auch nicht willkürlich kolorieren wollte. Das brachte mich auf die Idee mit den Scheiben. Wenn ich mir ein Abendlicht vorstelle, das auf die Scheiben fällt, dann ist es egal, ob die originalen Photographien nur schwarzweiß sind. Die gedachte Beleuchtung schafft die Farben im Bild. Mit diesem Kunstgriff fing dann alles an.

Julia Voss– Wann hast Du angefangen, die Sammlungen zu rekonstruieren?

Karin Kneffel- In meinen ersten Bildern habe ich die Gemälde an den Wänden unkenntlich gemalt, da zum einen mein Hauptaugenmerk erst einmal mehr auf der Architektur und der Möblierung lag, und zum anderen waren viele Bilder und Skulpturen auf den Photographien schlecht bis gar nicht zu erkennen. Als mein Interesse an der Sammlung größer wurde, versuchte ich mehr darüber herauszufinden, las das wenige, was ich darüber finden konnte, sprach mit Angehörigen und versuchte, die Bilder über die mir vorliegenden Photographien mithilfe des Internets zu identifizieren. Den Potsdamer Platz von Kirchner zum Beispiel erkennt man leicht, und so habe ich im Internet seinen heutigen Standort recherchiert. Einen Kokoschka, Sommer I., konnte ich auf den Photographien des Hauses zunächst einmal nicht identifizieren, das hat etwas länger gedauert, bis ich das Bild fand. Ein Zufall bei der Suche eines anderen Werkes spielte mir dabei in die Hände. Das Internet ist sehr hilfreich, auch, um den Verbleib eines Bildes und seinen heutigen Standort herauszufinden. Ich wollte keine wissenschaftliche Recherche, sondern nur mit dem arbeiten, was sich einfach herausfinden ließ. Am Ende machte ich das Bild transparent und legte es über die Photographie, um sicher zu sein.

Julia Voss– Ist es nicht erstaunlich, dass diese Recherchen nicht längst von Kunsthistorikern unternommen worden sind?

Karin Kneffel- Darüber ist mir nichts bekannt, aber in allen Veröffentlichungen gilt die hauptsächliche Aufmerksamkeit der Architektur Mies van der Rohes und seiner Beziehung zu den Bauherren. Viele Bilder sind ja vielleicht auch nicht mehr im Besitz der Nachkommen. Eine unglaubliche Privatsammlung. Zum Beispiel das Bild von Kirchner, der Potsdamer Platz ,das war damals der teuerste Ankauf der Nationalgalerie.

Julia Voss– Das Bild wurde 1999 erworben. Gab es Entdeckungen bei den Recherchen?

Karin Kneffel- Eines der Bilder Chagalls, Der Heilige Droschkenkutscher, welches im Esszimmer des Hauses Lange hing, befindet sich heute in Frankfurt im Museum. Ich bin ins Städel gefahren und habe es dort gesucht. Es hat nur etwas gedauert, bis ich ihn fand, denn dort hing das Bild andersherum, kopfüber. Mir kam das falsch vor und so erkannte ich es erst einmal gar nicht.

Julia Voss– Weil Chagalls Droschkenkutscher dann aussieht, als würde er stürzen?

Karin Kneffel- Genau. Der Heilige Droschkenkutscher, der muss doch fliegen. So kannte ich ihn aus Haus Lange. Aber es könnte natürlich auch sein, dass sich das Bild durch die lange Betrachtung der Photos als nur so richtig herum bei mir eingeprägt hatte, obwohl es vielleicht anders sein müsste. Am darauffolgenden Wochenende bin ich nach Los Angeles geflogen, da wurde das Broad Museum eröffnet, und mir kam Max Hollein entgegen, damals war er noch Direktor des Städel Museums. Und so habe ich ihn ganz spontan gefragt: Warum hängt bei Ihnen im Museum das Bild von Chagall, Der Heilige Droschkenkutscher, verkehrt herum, Hollein antwortete mir: Beide Hängearten sind möglich. Das Bild hängt bei uns auf dem Kopf, weil wir wissen wollen, wie er uns am besten gefällt.

Julia Voss– Hängt das Bild heute immer noch so im Städel Museum?

Karin Kneffel- Drei Wochen später war ich wieder in Frankfurt, da bin ich noch einmal ins Museum gegangen. Das Bild hing an anderer Stelle und war gedreht worden, der Droschkenkutscher flog wieder, und mir gefällt er immer noch so besser. Die Signatur ist nicht an einer eindeutigen Stelle, wenn er fliegt, steht die Schrift auf dem Kopf, deshalb ist wohl nicht ganz klar, wie herum es zu hängen hat, beides ist möglich. Ich habe es dann zweimal gemalt, so, wie es anfangs im Haus Lange hing, und so, wie ich es beim ersten Besuch im Städel sah. Neben den Skulpturen von Picasso und Otto Freundlich.

Julia Voss– Die Scheibe, durch die man die Szene sieht, ist beschlagen. Der Raum bekommt dadurch für mich eine zeitliche Komponente, er wird eine Station auf einem Zeitstrahl, vergänglich und veränderlich. Geht es Dir darum?

Karin Kneffel- Ich möchte, dass Räume und Zeiten, Gegenwart und Vergangenheit in meinen Bildern verschmelzen. Was ist Realität, was Fiktion, wo fängt die Bildwirklichkeit an? Die Geste auf der Scheibe ist eigentliche eine, die jeder schon mal vor einem beschlagenen Spiegel im Bad gemacht hat, um klarer sehen zu können. Nur macht man damit meistens alles noch schlimmer und man sieht am Ende weniger. Dieser Effekt hat mir gefallen.

Julia Voss– Du hast die Wege vieler Bilder nachverfolgt, ihre Reise von einem Privathaus in öffentliche Museen. Gibt es ideale Orte für Deine Bilder?

Karin Kneffel- Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht wäre der idealste Ort der, der nachträglich um die Bilder herumgebaut werden würde. Bilder in Privaträumen kann ich mir häufig besser merken. Es tut ihnen nichts, in einer solchen Umgebung zu sein. Manchmal mag ich es auch, wenn ein Sofa danebensteht. Da passiert etwas. Gerade bei solchen Bildern, die selbst ein Interieur zeigen. Das halten die Bilder schon aus.

ATELIER

Julia Voss– Wie lange brauchst Du für ein Gemälde?

Karin Kneffel- Das ist schon kompliziert mit diesen Durchblicken, Tropfen, Nah- und Fernsichten, flachen Scheiben und gleichzeitigen Raumtiefen. Von einer solchen Szene gibt es kein Photo. Ich muss mir das Licht überlegen, die Spiegelungen oder die Dampfbeschläge. Ich konzipiere lange herum, auch am Computer. Dann zeichne ich, probiere weiter. Der Arbeitsprozess dauert im Vorlauf schon lange. An einigen Bildern arbeite ich gedanklich mehrere Monate.

Julia Voss– Wenn Du die Form gefunden hast, wie lange dauert die Umsetzung? Wenn ich genau weiß, wie alles sein soll, und die Vorzeichnung steht, dann male ich an einem großen Bild etwa einen Monat.

Julia Voss– Wie gehst Du vor, was sind die Schritte?

Karin Kneffel- Am Anfang steht die grundierte Leinwand. Darauf zeichne ich mit Kohle. Da ich meistens von einem realen Raum ausgehe, der auch wiedererkennbar bleiben soll, muss die Vorzeichnung stimmen, dann kommen Gegenstände hinzu, die Bilder und Möbel und anderes Interieur. Dabei verändert sich dann noch vieles, weil im Großen die Dinge dann doch anders funktionieren als auf einer kleinen Skizze. So verwerfe ich wieder, wische weg, zeichne erneut, vielleicht aus einem anderen Blickwinkel. Dann erst kommt die Farbe.

Julia Voss– Wie würdest Du die Entwicklung Deiner Malerei beschreiben?

Karin Kneffel- Sie wird immer diffiziler, detailreicher und dadurch langwieriger. Das überrascht mich selbst. Bei Malern war der Weg häufig andersherum, sie suchten die Abstraktion, die Vereinfachung. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich werde natürlich routinierter und professioneller, es gibt einen handwerklichen Fortschritt. Vor zwanzig Jahren hätte ich meine Bilder von heute nicht malen können, ich hätte nicht gewusst wie. Eine Scheibe vor einer Szene, noch mit Wasserspuren darauf, das hätte ich nicht hinbekommen. Und wenn man etwas nicht kann, kommt man auch nicht auf die Idee, es zu malen.

Julia Voss– Du hast nicht nur Wasser gemalt, sondern auch Feuer. Warum?

Karin Kneffel- Die Faszination für das Feuer war eine malerische Herausforderung, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie das gehen könnte, die Bewegung des Feuers quasi malerisch einzufrieren. Zu Feuer könnte man besser ein Video drehen, dachte ich, weil es ja von der Bewegung lebt, züngelt und flackert. Kann ich das überhaupt malen? Diese Frage hat mich gereizt. Auch die Psychologie des Feuers, das Bedrohliche. Wie ist es mit der Gefahr im Bild? Ich wollte dem Feuer den großen Schrecken nehmen und versuchen, es mehr als ästhetisches Phänomen zu präsentieren. Man sollte sich nicht bedroht fühlen. Das ist nicht ganz gelungen, manche Menschen, die den Krieg kennen, sind davon angefasst.

Julia Voss– Schaust Du Dir bei anderen zeitgenössischen Malern an, welche Lösungen sie gefunden haben?

Karin Kneffel- Klar interessiert mich die Arbeit meiner Kollegen sehr und was sie der Malerei hinzufügen. Aber jeder sucht seine eigenen Fragen.

Julia Voss– Woran merkst Du, dass ein Bild fertig ist?

Karin Kneffel- Wenn der Blick nirgends mehr aneckt, ich male, bis mich nichts mehr stört. Wenn ich es nicht mehr besser machen kann, höre ich auf. Sonst muss ich weiter- oder übermalen. Das Bild soll funktionieren, aus einem Guss sein, ich will keine Brüche sehen. Es soll mich überraschen. Dann verführt es mich.

Julia Voss– Hast Du eine Routine beim Arbeiten?

Karin Kneffel- In gewisser Weise schon. Ich brauche morgens meine Ruhe. Ich gehe joggen oder in den Wald, mache meine Post, erledige Büroarbeiten, lese Zeitung und frühstücke lange.

Julia Voss– Wann fängst Du an zu malen?

Karin Kneffel- Mittags. Da gehe ich hinunter ins Atelier und male fünf oder sechs Stunden. Dann kriege ich Hunger. Wir kochen schnell was. Dann kommt die zweite Schicht. Das ist meine wichtigste, dann habe ich die meiste Ruhe, niemand ruft mehr an nach dem Abendessen. Oft lasse ich im Hintergrund den Fernseher laufen oder höre Musik. Ich mag es, wenn spät abends noch ein Bild bei mir flimmert. Dann ist es nicht so einsam.

Julia Voss– Du hast keine Assistenten. Warum nicht?

Karin Kneffel- Ich bin am liebsten alleine im Atelier. Sogar die Leinwand spanne ich noch selbst, nur das Grundieren übernimmt jemand für mich. Die Leinwand muss eine bestimmte Spannung haben, wie eine Trommel. Beim Malen spüre ich das sofort. Wenn es jemand anders macht, fühlt es sich an, als hätte ich den falschen Pinsel in der Hand. Der Gegendruck stimmt nicht.
   Einige Kollegen lassen malen, da stehen Mitarbeiter auf den Leitern und arbeiten gemeinsam an den Bildern. Das ist bei meiner Art zu malen nicht möglich, da ich keine exakte Vorlage habe, die andere abmalen könnten. Dazu müsste ein Ergebnis quasi schon von vornherein genau feststehen und nur noch ausgeführt werden. Meine Bilder entstehen aber zu einem großen Teil im Malprozess und verändert sich dabei auch. Vieles steht auf dem Prüfstein, Ideen werden hinterfragt, auch verworfen, weil sie vielleicht nicht tragen oder mich die Umsetzung überfordert. Ich versuche Dinge weiterzudenken und stelle sie dabei gleichzeitig wieder in Frage. Da kann mir leider keiner helfen, und ohne diese Arbeit würde mir sicher etwas fehlen und meinen Bildern gewiss auch.

FARBE

Julia Voss– Auf einigen Bildern hast Du dicke Pinselstriche gemalt. Würde Dich diese gestische Malerei auch reizen?

Karin Kneffel- Gestische, pastose Malerei reizt mich bei anderen anzuschauen ((schaue ich mir sehr gerne bei anderen an?)). Nur meine Sache ist das nicht. Meine Pinselstriche sind dünn mit Ölfarben gemalt, es sieht nur so aus, als sei der Auftrag pastos. Ich werde manchmal gefragt, wozu ich mir die Mühe mache, wenn ich es auch mit einer schnellen, pastosen Geste erledigen könnte. Dicke Farbe interessiert mich aber in meinen eigenen Bildern nicht, da liegt irgendwann Staub auf der Farbe und sie schrumpelt auch oft noch ein. Mich interessiert der Illusionsraum, der mit Malerei entstehen kann. Wenn die Materialität der Farbe so sehr im Vordergrund steht, entzaubert sich das Bild für mich.

Julia Voss– Was passiert, wenn Du Dich vermalst. Kannst Du das korrigieren bei so einem dünnen Auftrag?

Karin Kneffel- Ja, gerade dann, so kann ich mehrere Schichten übereinander auftragen, ohne dass es Schwundrisse gibt. Wenn ich allerdings große, glatte Flächen vor mir habe, dann muss ich sie in einem durchmalen. Ich überlege mir bei jedem Bild, wo ich anfange. Mit den Tropfen oder vielleicht mit dem Raum? Fühle ich mich gut oder sollte ich lieber mit etwas Leichtem beginnen, damit ich nicht gleich frustriert bin, wenn mir etwas nicht gelingt? Wenn ich viel Zeit habe, beginne ich mit einer Fläche, von der ich weiß, dass ich lange dranbleiben muss. Wenn ich mittendrin aufhören würde, dann gäbe es eine Naht am nächsten Morgen.

Julia Voss– Man nennt das „Naht“ beim Malen?

Karin Kneffel- Keine Ahnung, ich nenne das einfach mal so. Ich meine die Kante, die beim Trocknungsprozess entsteht und sichtbar bleibt. Das heißt, ich muss bei größeren Bildflächen, die mir keine kompositorischen Kanten wie Wandecken oder Gegenstände im Bildraum anbieten, lange durchhalten und kann keine große Pause machen. Das kann schon mal fünfzehn Stunden dauern.

Julia Voss– Aber nach so vielen Stunden gibt es doch eine körperliche Grenze?

Karin Kneffel- Wenn ich mal wirklich nicht mehr kann, lege ich mich drei Stunden hin und stelle mir den Wecker. So lange etwa ist die Farbe noch nass und hat die Konsistenz, die ich brauche, um ohne Bruch weiterzuarbeiten. Sonst würdest Du irgendwo in so einer schönen glatten Fläche eine Kante sehen. Das soll nicht sein.

Julia Voss– Deine Pinsel sind überraschend fein. Gibt es für die großen Bilder keine dickeren?

Karin Kneffel- Nein, eigentlich nicht, nur ganz selten nehme ich mal einen breiteren. Mit diesen hier male ich auch die Sieben-Meter-Bilder. Selbst wenn ich das gesamte Bild einfach nur zustricheln würde, wäre ich mit diesen kleinen Pinseln schon gut beschäftigt. Aber nur so bekomme ich die gewünschte Transparenz und Tiefe hin.

Julia Voss– Eine letzte Frage: In Deinen Gemälden tauchen immer wieder Putztruppen auf. Weshalb?

Karin Kneffel- Putzfrauen haben einen anderen Blick auf die Dinge, das gefällt mir. Sie müssen sich fragen, wo ist der Dreck, wo muss ich putzen, wo muss ich vorsichtig sein? Sie gucken sich deshalb die Kunst anders an. Die Putzfrauen in der Serie zu Haus Esters und Lange sind zum Teil Zitate aus Filmen. Ich wollte die Häuser beleben, die Figuren haben gepasst. In den sechziger und siebziger Jahren tauchen öfter mal Putzfrauen in Filmen auf, oft fast unbemerkt und beiläufig, da sie keine Relevanz für die Handlung des jeweiligen Films haben, z.B. in Extrablatt von Billy Wilder, bei Hitchcock gleich mehrmals, u.a. bei Marnie und im Zerrissenen Vorhang, aber auch in Kosters Mein Freund Harvey. Von Rem Koolhaas gibt es einen schönen Film über seine Maison à Bordeaux aus der Sicht der Putzfrau und anderer Hausangestellter.

Julia Voss– In Deinen Bildern zum Lehmbruck Museum kommen auch Fensterputzer vor. Gibt es die auch bei Hitchcock?

Karin Kneffel- Nein, nicht das ich wüsste. Ich war für meine Bilder über die Krefelder Häuser immer mal wieder im Lehmbruck Museum, um mir die Skulpturen anzuschauen. Der Innenraum des Museums mit dem gläsernen Kubus zog mich immer wieder in seinen Bann, aber ich hatte lange keine zündende Idee, bis ich mich eines Tages fragte, wie es wohl aussähe, wenn dort Fensterputzer am Werk wären, und so bevölkerte ich die Architektur imaginär. Die Bewegung beim Wischen, das Ausholen, diese fast malerische Geste auf den Scheiben.
    Gerade male ich das dritte Bild dieser Serie. Ich werde es selbst behalten. Ich schaffe im Schnitt etwa zwanzig Bilder im Jahr. Das ist nicht viel.

Julia Voss, »Gespräch mit Karin Kneffel in ihrem Atelier in Düsseldorf//Conversation with Karin Kneffel in her Studio in Duesseldorf«, in:Still, Ausst.-Kat.//exhib. cat. hrsg. von // ed. by Kunsthalle Bremen, Museum Frieder Burda, Schirmer und Mosel, S.//pp. 84–94, 2019, ISBN: 978-3-8296-0873-2