Staunend stehen viele Betrachter der Malerei Karin Kneffels (geb.1957, Meisterschülerin
bei Gerhard Richter 1987 ) vor 104 gleichgroßen Porträts von Haustierköpfen
(20 x 20 cm, Öl auf Leinwand). Der Eindruck ist überwältigend.
Vertreten sind verschiedene Hühner, Rinder, Schaf-und Ziegenrassen im
Profil, Halbprofil oder in Frontalansicht. Die Künstlerin zeigt die Köpfe
anläßlich ihrer Beteiligung an der Karl-Schmidt-Rottluff Stipendiaten-Ausstellung
1993/1994 in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf. Ihr Malstil
ist höchst realistisch. So viel Genauigkeit in der Darstellung ist spektakulär;
so viel Naturähnlichkeit anzuschauen macht Spaß. Faszinierend:
endlich einmal keine hochkomplizierten Denkbilder! Statt dessen: Summierungen
von im Kopf bereits vorhandenen Bildern, vielleicht sogar von selbst gesammelten
Eindrücken." Das Museum im Kopf. " Im klarsten Licht des Offenbaren
bzw. Offensichtlichen liegen sie greifbar da, Kneffels Bilder der Realität,
künstlerisch, d.h. malerisch, materialisiert, im Duktus sicher und gekonnt.
Dieses Wirklichsein des Dargestellten mittels Ölfarbe (oder Aquarell)
bis zur Augentäuschung atmet den Geist der Einfachheit, der Echtheit
der "realistischen Kunst".
"Realistische Kunst. Wenn man die Konnotationen abstreicht, bleibt das
primäre Motiv des bloßen Gegenstandes übrig, das Wiedererkennen
allein trägt die Bildrationalität. Darin drückt sich eine Zuwendung
des Zeitinteresses zu dem Vorhandenen, Gegenwärtigen und Wiederholbaren
aus, es ist dies die Bildform der Neuzeit seit der Renaissance und der Epoche
der Entdeckungen .... Die Künste übernehmen jetzt eine Teilfront
in dem Generalangriff, der der Aneignung und der Durcharbeitung des Diesseits
gilt, sie machen sich frei von der Unterordnung unter vorgegebene Gedankenwelten,
haben keinen institutionelen Auftrag mehr, sie werden privat und demokratisch
und richten sich im Unmittelbaren des Gegebenen ein. Alle Inhalte und Qualitäten
dieser Kunst sind bereits in der vorindustriellen Zeit entwickelt worden,
d.h. die Würde und Autorität der Natur war das Apriori, sie wurde
unerschütterlich vorausempfunden, und wenn der Künstler sich an
sie anlehnte, so honorierte das Publikum die Hingabe und Energie, mit der
er sich in die Außenwelt einlebte, als ethisch und überzeugend.
So besteht eine entschiedene innere Beziehung dieser Malerei zur Naturwissenschaft:
Sei es, daß sie sich mehrfach selbst als Wissenschaft auf faßte
oder im Hinblick auf sie ihre Eigenqualität definierte. "
Arnold Gehlen, Zeit-Bilder (1986)
Überschaut man die Literatur, die sich mit der realistischen Kunst Kneffel´s
seit etwa 1988 kritisch auseinandersetzt, so geht der Geist der Einfachheit
der Bilder verloren. Die meisten Autoren stellen immer wieder die Frage, auf
die sie bis lang nur unzureichende Antworten geben konnten. Wie ordnet man
diese realistischen Bilder dem Zeitgeist zu? Es entstehen heute spannende
Theorien zur Malerei; wie nie zuvor, zur Malerei als ästhetischer Institution
des intellektuellen Aufbegehrens beispielsweise, um sich gegen den Verlust
des Sozialen in der Kunst schlechthin zu wenden. Gefordert wird die Inlegration
der Malerei in das alltägliche Leben, insbesondere in das geselIschaftspolitische.
Die Folge ist, daß die Situation der zeitgenössischen Malerei schwierig
geworden ist; hinzu kommt, daß viele der künstlerischen Ergebnisse
weniger eindrucksvoll erscheinen als die ihnen vorausgegangenen avantgardistischen
Strategien zur Kunst selbst. Fest steht: Jenseits solcher theoretischer Erörterungen,
neomarxistisch oder formalistisch oder "politically correct", liegt
das Thema der realistischen Malelei Karin Kneffel´s. Ihre Malerei ist
zeitgenössisch, allein weil sie "Aussagen über die Welt"
in sich birgt.
"Aussagen über die Welt können .. nicht mehr als ein Hinüberkopieren
von Sachverhalten ins Bewußtsein verstanden, werden. Das wußte
auch Hegel. Sein Versuch, daraufhin die Einheit der Idee und ihrer Wirklichkeit
im Begriff des Begriffs zu denken und der Ästhetik aufzugeben, dies Setzen
und Aufheben des Unterschiedes in der Welt erscheinen zu lassen, vermag kaum
noch zu überzeugen. Darauf fogt eine symbolischsemiotische Konzeption,
die das Kunswerk als ein Zeichen begriff, das auf ein unmittelbar nicht zugäliches
Ganzes verweist. Aber: Wie kann man die Welt als "Ganzes" voraussetzen?
Und widerspricht diese Auffassung nicht der unbestreitbaren Tatsache, daß
der Künstler bei der Anfertigung seines Kunstwerkes auswählt, also
offenbar etwas vom Ganzen beiseite laßt? So beliebt auch heute wieder
"holographische" Konzepte sind: sie scheitern an ihren eigenen Prämissen
Geblieben ist aber das so nicht zu lösende Problem."
Niklas Luhmann, Weltkunst (1990)
Mit ihrem Realismus markiert Kneffel ein neues episches Zeitalter der Malerei.
Denn bei ihren Aussagen über die Welt konzentriert sich die Künstlerin
auf den Gewinn der Distanz und den Verlust der Nähe, mit Blick auf das
Darstellbare des "Ganzen". Dazu dienen ihr realistische Themen und
Genres, die sie in den Worten Paul Valérys-in einer "Verbindung
der optischen Wahrheit und der gegenständlichen Vergegenwärtigung
der Empfindung" präsentiert Die Richtung liegt fest: Indem sie sich
auf das Beobachten der äußeren Welt und der tradierten Genres einläßt,
bezieht sich Kneffel so wohl auf die vom Menschen geschaffene, genutzte bzw.
manipulierte Welt als auch auf die von Künstlern in die Welt gesetzten
Manifestationen affektiver Kunstübertragung. Das Malen dient ihr dabei
als vermitteln zwischen beobachtetem Ereignis und Beobachten.
Betrachtet man in diesem Lichte den Realismus dieser Werke genauer, so sieht
man einerseits die massenhaften Zusammenstellungen von kleinen Tierporträts,
von Haustierporträts, um genau zu sein. Sie sind fragmentarische epische
Kurzformen einer Momentaufnahme; es geht um standardisierte Gleichförmigkeit
trotz individueller Unterschiede.
"Zwei entscheidende Entwicklungsreihen der Porträtmalerei sind aufzuführen
erstens die nordeuropäische zweitens die oberitalienische Malerei der
Frührenaissance. Die oberitalienische ... faßt das Einzelporträt
als Besonderheit innerhalb eines konstruierten Allgemeinen auf ... Die nordeuropäische
Porträtmalerei hebt den Porträtierten aus dem Allgemeinen heraus
... ist insofern realistisch, als nur die individuelle Besonderheit dargestellt
werden soll. "
Bazon Brock, Ästhethik als Vermittlung (1977)
Andererseits finden sich die eher groß angelegten Feuerbilder als vertiefende
Werke über länger anhaltende Zustände. Sie besitzen die unerschrockene
Klarheit einer entdramatisierten Non-fiction-Darstellung Obwohl:
" Kunstgeschichte des Feuers ließe sich schreiben als Geschichte
eines Temperaments. Ängste und Traumata wären zu schildern von Neigungen
und Faszinationen rund um ein archaisches müßte erzählt werden
.... "
Helmut Draxler, Das brennende Bild ( 1987)
Schließlich sind da noch die Aquarelle von Obstsorten als pointierte
Ausdrucksformen bedrängender, gleichzeitig distanzierter ästhetischer
Eindringlichkeit.
"Aquarel geht schnell"
Karin Kneffel, Aquarelle (1992-93)
Haustiere, Feuer und Obst, Porträt, Landschaft und Stilleben sind die
Grundelemente dieser Arbeiten. Sie sind selbst unter Miteinbeziehung lodernden
Feuers, unspektakulär. Gemeinsamer Tenor ist die undramatische typisierende
Darstellung. Sie schafft zunächst eine intime Beziehung der von der Künstlerin
beobachteten Grundelemente zueinander. Eine solche Beziehung ist im Werk Kneffels
nicht einschichtig, und sie läßt sich schon gar nicht formelhaft
umreißen. Sie äußert sich ebenfalls nicht als erzählende
Bilderfolge. Wirken Haustierporträts und Obstdarstellungen für sich
genommen wie sachliche, anonyme Schaubeispiele aus Nachschlagewerken (vgl.
z.B. Tafeln von "Menschenrassen " in älteren Enzyklopädien),
so wirken Feuer und Rauch wie eindeutige, emotionsfreie Beschreibungen. Aber
phänomenale Wiedergabe des anonymen Materiellen und des bedrängend
Physischen sind sie allemal. Im Grunde "übertreibt" Kneffel
die gemalte (oder aquarellierte) "Gegennatürlichkeit" in ihren
Bildern im Vergleich zu den von ihr beobachteten, vom Menschen gemachten,
genutzten oder manipulierten Erscheinungen (Haustiere, Feuer, Obst) wie ebenso
zu den von Künstlern kultivierten Genres (Porträt, Stilleben usw.
)
Kneffels Bilder entstehen aus unserer anonymen materiellen Kultur; und sie
besitzen optische Eigenschaften die durchaus als bedrängend physisch
zu nennen sind. Saftiger Pfirsich, Apfel und tief dunkelblaue Trauben könnten
zum betörenden Augenschmaus werden. Aber sie werden es nicht. Die feinsten
Nuancen stimmen, die leiseste Stengelbehaarung wirkt echt. Als zeitgenössische
Stilleben thematisieren diese Aquarelle sehr wohl traditions- also auch zeitgerecht
Vergänglichkeit, zwar nicht durch direkte Anspielung auf Fäulnis
etwa, sondern - fast wie in der auf Daseinsglück abgestimmten kommerziellen
Werbung - durch überzogene Schönheit, komponierte Makellosigkeit
und vernichtende Unerreichbarkeit. Hier liegt der Realitätsbruch. Unser
Appetit wird hier ebensowenig angeregt, wie es an anderer Stelle vermieden
wird, die fühlbare Hitze der Flamme in den Feuerbildern zu evozieren.
Angst-vor-Feuer, Hunger-auf-Obst oder Nähe-zum-Haustier wird in Kneffels
Bildern grundsätzlich nicht angesprochen. Denn trotz aller unleugbaren
Sachnähe entpuppt sich diese Art zu malen als eine Malerei der äußeren
Mittel, d.h. als ein Malen mit Farbe, emotionsfrei, was das jeweilige Sujet
betrifft, man konnte auch sagen: entfremdet. Das beobachtete Objekt selbst
erhält in Kneffels Malerei die Gelegenheit, zum "seltsamen Attraktor"im
Bild zu avancieren.
Ich habe jede Spur eines eigenen Begehrens verloren. Ich gehorche nur mehr
etwas Unmenschlichem das nicht in die Innerlichkeit, sondern allein in die
objektiven und willkürlichen Wechselfälle der Zeichen der Welt eingeschrieben
ist. Wie sich bei Katastrophen die souveräne Gleichgültigkeit der
Welt uns gegenüber als fatal bezeichnen läßt... "
Jear Baudrillard, Transparenz des Bösen (1990, 1992)
... wird der erweiterte konzeptuelle Zusammenhang zwischen den Arbeiten aufschlußreich.
(Ich habe bislang kein Haustierporträt Kneffels gesehen, in dem der Blick
des Tieres in irgendeiner Weise einen emotionalen Austausch mit dem Blick
des Beobachters sucht. Der angedeutete Zusammenhang besteht grundsätzlich
aus realistischen Elementen, aus materialistischer Ausrichtung und epischer
Wiederholung. Letzteres, das Insistieren auf der Wiederkehr gleicher Formen,
Formeln, Themen und Genres, bringt das Phänomen"typischer Szenen"
oder Standards deutlich hervor, die Kneffel untersucht: Kopfhaltung im Porträt
= typischer Ausdruck. Aus der Wiederaufnahme und Abwandlung desselben Motivs
(derselben Form, derselben Formel) bei unterschiedlichen Haustieren entsteht
durch die massenhafte Zusammenstellung des Genretyps ein neuer Stimmungswert.
Es handelt sich hierbei um die werkeigene rhythmische und schließich
klangvolle Komponente. Sie läßt sich schlecht in Worte fassen.
Aber, bestehend aus realistischen Elementen, ertönt diese Komponente
jenseits der realistischen Echtheit, die am Anfang jeder Rezeption des Einzelbildes
stand .
Beeindruckend und bezeichnend für das Werk Kneffels ist das zustande
kommende selbständige Zusammenwirken bildhaft gestalteten Erzählens
jenseits des Realistischen mittels des Realistischen. Ausschlaggebend für
alles weitere bleibt daher die realistische künstlerische Grundhaltung.
Sie basiert auf einer betrachtenden, unbetroffen-distanzierten, gelassen-ausgeglichenen
Darstellung der äußeren Welt. Objektive Alltagserfahrung des Motivs
und der Genres, wenngleich für manchen Betrachter irgendwie der kunstgeschichtlichen
Vergangenheit zugehörig, und künstlerische Erfahrung (vielleicht
auch Ausbildung) verbinden sich in dieser Darstellung zu einer unkommentiert
geordneten Vielfalt. Der Akzent hierbei liegt sowohl auf geordnet als auch
auf Vielfalt, man könnte auch sagen: auf Komposition und Schöpfung.
Vertraute Bilder werden aufgrund von Ordnung und Vielfalt einer distanzierten
Betrachtungsweise unterzogen. Diese liegt auf der Bildebene durchweg auf dem
Verstehenshorizont des Betrachters. Er findet die Schilderung von Zuständen
(Brände in Landschaften etwa) in breit angelegter, bedrängender
Form, das Porträt (des Haustieres) in knapp gedrängter. Bei diesem
liegt die Betonung anfangs auf der größeren Selbstständigkeit
der Teile im Einzelbild, sozusagen auf dem kurzfristig feststellbaren Individuellen,
während bei den Feuern das Zerdehnen eines Gesamteindrucks im Einzelbild
von Anfang an Thema ist. Dieses Zerdehnen des Themas stellt sich jedoch auch
bei den Tierporträts durch die massenhafte Zusammenstellung ein. Die
Malerei Kneffels bestätigt: Wir gehen bei Bildern von denselben irgendwie
bekannten Themen und Genres aus, um individuell zu unterschiedlichen Gedanken
über sie zu gelangen.
"... denn jeder fühlt sich als Einzigartiger, obwohl alle gleichartig
sind."
Jean Baudrillard, Das System der Dinge (1968, 1991)
Das ist die Grundvoraussetzung der Rezeption dieser realistischen Kunst, wobei
die Objektivierung dieser Gedanken, der Weg zu objektiven "Aussagen über
die Welt", der künstlerischen Intention zugrunde liegt.
Der Weg zu solchen Aussagen über die Welt im Kunstwerk und als Kunstwerk
führt uns wegen des beteiligten Realismus über zwei Hindernisse.
Erstens: In jedem Bild Kneffels können subjektive gedanklich-weltan-schauliche
Assoziationen auftauchen. Sie sind durchaus legitim und häufig spannend
obendrein. Sie können interessant sein, aber den objektivierten "Aussagen
über die Welt È zuwiderlaufen (z.B.: Feuer in der Landschaft =
Weltuntergang, Apokalypse: den Menschen ernährende Tiere = Anspielung
auf die Domestizierung von Wildtieren als den Beginn der Bildung von Kapital,
von gewinnbringendem Vermögen: Obst = Fruchtbarkeitssymbolik = das Obstgartenparadies:
Tierporträts = das mythologische "Circe-Motiv" Verzauberung
des Menschlichen, verwandelte Menschen, Männer gar?) Den möglichen
inhaltlichen Assoziationen sind kaum Grenzen zu setzen.
Zweitens: Kneffel benutzt die recht festgeprägten traditionellen Genres
der realistischen Kunst (z.B. Tierporträt, Landschaft, Feuer, Stilleben).
Sie reizen uns zu beobachten, ob und wie die Künstlerin mit tradierten
Formgesetzen und Inhalten der Genres umgeht. Wir beobachten so die Künstlerin
und ihre Techniken ungerechterweise mehr als das von ihr Beobachtete. In der
Malerei unserer Zeit kann beispielsweise ein realistisches Pflanzen- oder
Fruchtporträt (Aquarell) doch nur vordergründig ein traditionelles
Bild sein - oder? Das Begriffsinventar von Kneffels Stilleben, Feuerbildern
und Haustierporträts wird zwar, wie die Tradition es verlangt, in einer
inhaltlichen Einstellung formal zu einer Einheit zusammengefaßt, aber
ebenso wie Feuer- und Haustierdarstellungen üben sie Kritik, sowohl am
rationalistischen Sehimperium des Beobachters als auch an den künstlerischen
Manifestationen affektiver Kunstübertragung durch die realistischen Genres.
Das schafft Probleme auch in Zukunft.
Köln, 1994