Petra Cornelißen, »Karin Kneffel«, in: Die Subversion des Lachens, Ausst.-Kat. // exhib. cat. femme totale e. V. , Museum am Ostwall Dortmund 1993, S.//pp. 26–27,
ISBN 3-925998-13-6
Petra Cornelißen
»Tierportraits«
Kühe, Schafe und Hühner blicken uns an. Ernst, bisweilen aufgeschreckt oder irritiert fixieren sie den Blick des Menschen. Karin Kneffel verleiht den Tierporträts mit ihrer realistischen Ölmalerei, bei der sie Beleuchtung, neutrale Hintergrundgestaltung und Haltung den menschlichen Porträts seit der Renaissance nachempfindet, ein hohes Maß an Individualität. Diese Art der Tiermalerei finden wir seit dem 17. Jahrhundert, als - neben der höfischen Malerei mit Jagdszenen und Tierkämpfen - auch Tierindividuen dargestellt wurden. Das konventionelle Bildthema mit scheinbar vertrauten Motiven erleichtert unser Wiedererkennen, jedoch bleibt bei der Betrachtung dieser Porträts das Gefühl der Fremdheit. Zunächst sind das kleine quadratische Format, die Beschränkung auf den Kopf und die ungewohnte Nahsicht bemerkenswert. Schließlich werden durch diese Nahsicht einiger Tierköpfe, die wir heute oft nicht mehr aus eigener Anschauung und dann auch nur aus größerer räumlicher Distanz kennen, physiognomische Eigenschaften besonders deutlich: so beispielsweise das merkwürdig abgeklappt stehende Ohr der schwarzweißen Kuh oder der auffällig gespreizte Federputz des Huhns mit dem stieren Blick...
Als Vorlagen benutzt die Malerin neben Zeichnungen hauptsächlich Fotografien, die sie leicht verändert, um den Ausdruck “zuzuspitzen“. Insgesamt ist sie um eine möglichst sachliche Abbildung der Tiere bemüht. Sie greift nicht zu Schematisierungen oder entstellten Physiognomien, dennoch porträtiert sie allerdings auch nicht nur die äußeren Züge einer Tierart in realistischer Manier. Physische Präsenz, der häufig beunruhigend direkte Blick und der Rekurs auf das Genre des Porträts, verleitet den Betrachter dazu, das Bild des Tieres mit dem des Menschen zu ‘vermischen’. Schnell sind wir dabei, den menschlichen Ausdruck in den Augen des Tieres zu lesen; besonders, wenn wir, wie in den Tierbildnissen von Karin Kneffel, so ausdrucksvolle ‘Gesichter’ vor uns haben. Der Hühnerblick erscheint kokett, die Kuh schaut mürrisch, das Schaf verträumt. In der seriellen Hängung blickt das Vieh wie in einer ‘Ahnengalerie' auf den Menschen herab und amüsiert uns mit der Ernsthaftigkeit seiner Posen. Dadurch werden diese kleinen Tableaus auch zu einem karikierenden Spiegelbild für menschliche Eitelkeit, und es bleibt in der Schwebe wer sich hier über wen belustigt. Dort, wo die Richter-Schülerin Kneffel uns Tierporträts präsentiert, reflektieren diese die künstlerische Tradition des Themas und spielen intelligent und humorvoll mit den Sehgewohnheiten des Betrachters.
Das kleinformatige Porträt mit vier Hühnern belegt beispielhaft, daß Karin Kneffel dem scheinbar abgegriffenen Genre Tiermalerei mit Hilfe von Komposition, Farbnuancierung und Kontrastsetzung sehr wohl auch malerische Qualitäten abzugewinnen weiß.
Die neunteilige Bildinstallation “Schafe” macht deutlich, daß sich die domestizierten Tiere hier dem Blick ihres 'Feindes' kollektiv verweigern: Sie präsentieren uns ihr Hinterteil. Da, wo sie sich überhaupt dem Betrachter halb zuwenden, geschieht das eher widerwillig: Wir werden mit einem ärgerlichen Blick gestraft. Karin Kneffel zeigt Haustiere, zu denen sie, wie sie sagt, keine besondere Beziehung empfindet, ohne jede verniedlichende Attitüde.
Auch wenn die Szenerie ihres großen Ölbildes “Hühner III“ zunächst als bäuerliche Idylle daherkommt, stellt sich beim Anschauen sofort das Moment der beklemmenden Irritation ein. Perspektivisch ist das 200 x 250 cm große Gemälde so angelegt, daß wir als Betrachter ganz real eine Schar Hühner (im Vordergrund lebensgroß) vor uns herzutreiben scheinen, Sie laufen chaotisch durcheinander, fliehen auf den Misthaufen, Von dort aus schauen sie, wie von einem Ausguck, ratlos in die Ferne. Über sie hinweg zieht ein flammender Himmel, eine Abendstimmung, die ganz unromantisch ins Grausige zu kippen droht. Die ängstliche Anspannung der Tiere vermittelt sich auch dem Betrachter, der den Grund und die Quelle der Bedrohung zu ergründen sucht und allmählich ahnt, daß er sie selbst auslöst, denn die Natur verweigert sich dem eindringenden Menschen: Zu einer 'ungestörten' Betrachtung kann es in unserer Zeit nicht mehr kommen.
Petra Cornelißen 1993
Petra Cornelißen, »Karin Kneffel«, in: Die Subversion des Lachens, Ausst.-Kat. // exhib. cat. femme totale e. V. , Museum am Ostwall Dortmund 1993, S.//pp. 26–27,
ISBN 3-925998-13-6